Sedra weiß aus eigener Erfahrung, was für Geflüchtete bei der Ankunft in Deutschland am Schwersten ist: Sich zu orientieren, wenn man die Sprache noch nicht spricht. Deshalb arbeitet sie mit im Projekt „Welcome Walks“. Zusammen mit sieben Gleichgesinnten, denen immer eines sehr am Herzen liegt: andere zu unterstützen. Mit 18 Jahren ist sie die jüngste Teilnehmerin in der Gruppe. Die Schülerin kam 2016 mit ihrer Familie nach Deutschland. „Ich möchte den Menschen die Ankunft hier möglichst gut gestalten, damit es sie nicht so viel Energie kostet“, sagt Sedra selbstbewusst. Sie ist stolz darauf, Leuten aus anderen Ländern helfen zu können.

„Für mich kennt Helfen keine Grenzen, kein Alter und kein Geschlecht.“

Die acht zukünftigen Welcome Guides haben in einer Arbeitsgruppe Harsewinkel fachmännisch unter die Lupe genommen: Was sind wichtige Stationen in der Stadt, was sollte jeder Mensch wissen, der hier ankommt? Alle wichtigen Anlaufstellen haben sie deshalb zusammengestellt. Rathaus und Bürgerbüro, Kitas und Schulen, Arztadressen, Einkaufsmöglichkeiten etwa. Und natürlich alle Einrichtungen, bei denen Geflüchtete Unterstützung, Hilfe oder auch Beratung erhalten. Wie das Gemeinschaftshaus Dammanshof. Hier traf sich die Runde vier Monate lang wöchentlich mit vhs-Mitarbeiterin Jelena Jaissle, um das Wissen zu sammeln und aufzubereiten. Das Ergebnis sind die sogenannten Welcome Walks durch Harsewinkel mit allen wichtigen Stationen für Neuzugewanderte. Für die Projektverantwortlichen war besonders wichtig, dass die Walks erstellt werden von Personen, die ihre eigenen Erfahrungen einbringen können.

„Als ich in Harsewinkel damals das Rathaus gesucht habe, bin ich eine Stunde durch die Stadt gelaufen“, erinnert sich Sha wali. Der Familienvater spricht auch Englisch. Das hat ihm bei der Suche damals nicht viel geholfen. „Neuankömmlingen soll das jedenfalls nicht passieren“, sagt er kopfschüttelnd und ist sicher, einen Beitrag dazu leisten zu können, die erste Orientierung leichter zu gestalten.

Geplant ist deshalb, dass künftig die Welcome Guides über die AWO Gemeinwesensarbeit Harsewinkel direkt zu einer der Gemeinschaftsunterkünfte gebeten werden, wenn neue Menschen zugewiesen wurden. Dort starten die Guides den jeweiligen Rundgang, um alles zu zeigen, was wichtig ist. Neben Behörden und der Versorgung dienenden Alltagsadressen werden das auch Spielplätze sein, Kulturorte sowie Orte der Teilhabe.

Nur ist bereits als Kind Deutschland gekommen. Sie kann sich noch gut daran erinnern, dass es für Ihre Mutter zu Beginn herausfordernd war, mit ihren Kindern das Haus zu verlassen. „Aber Kinder wollen draußen spielen, andere Kinder kennenlernen. Und so auch Deutsch lernen“, sagt sie. Unüberhörbar: Diese Lebenserfahrungen möchte Nur anderen Müttern und Kindern ersparen.

„Wenn man sich kennenlernt, sind die Ängste weg.“

Auch Fatma nimmt sich die Zeit, um mit der Gruppe die Welcome Walks zusammenzustellen. Sie zeigt auf ihrem Laptop die Übersicht, die sie bislang erstellt haben. „Vor dem ersten Walk mit Teilnehmenden werde ich schon aufgeregt sein“, gibt sie zu. „Wie es den Menschen wohl geht, wie sie reagieren … was sie sich vorstellen? Darauf bin ich neugierig!“

Die eigenen Erfahrungen oder die eigene Familiengeschichte ist für alle hier der Antrieb, sich selbst einzubringen in dieses Projekt. So auch bei Sonja, die viel Organisationserfahrung ins Team einbringt, weil sie bereits seit 2016 geflüchtete Menschen unterstützt. Alle Welcome Guides ahnen, dass die Menschen, die sie zukünftig durch Harsewinkel führen werden, ihnen für ihren Einsatz dankbar sein werden. Dass so Bekanntschaften, vielleicht Freundschaften über Nationalitäten hinweg entstehen werden. So wie es Alije berichtet, die schon in ihrem vorherigen Wohnort ehrenamtlich tätig war. „Ich helfe einfach gerne“, sagt sie und berichtet, dass sie noch immer Kontakt zu den Menschen von damals hält. Auch Xenia will helfen und etwas zurückgeben. „Weil ich selbst bei meiner Ankunft vor zwei Jahren viel Hilfe von der Cousine meiner Oma erfahren habe. Ich weiß, wie wichtig das ist.“

Mutig den Sozialraum zu erkunden, sich immer besser auszukennen, kann Menschen ein wenig mehr Sicherheit geben. „Zu wissen, wo ich beispielsweise Halal-Lebensmittel einkaufen kann, ist da schon eine große Hilfe“, erinnert sich Anis Gol an ihre Anfänge in Deutschland vor zwei Jahren. Die 33-Jährige hat gerade erfolgreich eine Ausbildung absolviert und eine Stelle angenommen. In ihrem Heimatland hätte sie gar nicht arbeiten dürfen. Nun wird sie andere unterstützen bei ihrem Ankommen in einer neuen Umgebung.

In wöchentlichen gemeinsamen Sitzungen im Gemeinschaftshaus Dammanshof überlegen die zukünftigen Guides gemeinsam, was für Neuzugewanderte wichtig ist nach ihrer Ankunft in Harsewinkel.

Das Projekt „Welcome Walks“

Die Idee: Eine niedrigschwellige Orientierungshilfe für Geflüchtete und Zugewanderte. Sie soll möglichst unmittelbar nach Ankunft in Harsewinkel angeboten werden können. Das Wichtigste: Das Angebot wurde entwickelt und wird durchgeführt von Menschen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen.

Die Umsetzung: Das Projekt wurde 2024 gefördert im Rahmen des Innovationsfonds „Weiterbildung im Wandel“ des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und umgesetzt in Kooperation mit der Stadt Harsewinkel, dem KIM Case Management der Stadt Harsewinkel sowie der AWO Gemeinwesensarbeit Harsewinkel.

Informationen zu dem Angebot der Welcome Walks und wie sie vermittelt werden finden Sie hier!

Text und Fotos: Almut Thöring (aus dem vhsMagazin im Semesterprogramm I/2025)